Zehn Faktoren zur Datenerhebung

In der 5. Wahlperiode (2009 - 2014) wurde die Unterbringung der Asylbewerber und Geduldeten anhand der folgenden zehn Faktoren beurteilt. Jeder Faktor wird mittels mehrerer Fragestellungen eingeschätzt.

Faktor 1: Unterbringung von Familien und Frauen in der Gemeinschaftsunterkunft

Die dauerhafte Unterbringung von Familien und alleinstehenden Frauen in Gemeinschaftsunterkünften, besonders in solchen mit kasernenartigen Strukturen, ist in der Regel nicht angemessen. Sie sollten aus humanitären Gründen grundsätzlich dezentral untergebracht werden. Eine vorübergehende Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft
zu Beginn des Aufenthalts bietet allerdings auch die Möglichkeit, die Familien bei der Eingewöhnung zu unterstützen.

Heute leben in den meisten Bundesländern noch immer viele Familien und Frauen mit Kindern auch dauerhaft in Gemeinschaftsunterkünften. Deshalb muss in solchen
Fällen ihren besonderen Lebenslagen in Gemeinschaftsunterkünften Rechnung getragen werden. Sie sollten beispielsweise die Mehrheit der Bewohner in einer Unterkunft darstellen, denn der Lebensrhythmus von Menschen mit Kindern unterscheidet sich beispielsweise meist sehr von dem alleinstehender Personen. Das wirkt sich häufig negativ auf die Lebensbedingungen gerade der Kinder aus (Kinderschutz, Nachtruhe, Möglichkeiten Hausaufgaben zu machen etc.)

Schulen und insbesondere solche mit Vorbereitungsklassen sollten in erreichbarer Nähe liegen. Außerdem sollten die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Familien durch
eine qualifizierte soziale Begleitung berücksichtigt werden.

Faktor 2: Sicherheit im Heim

Die Sicherheit der Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften muss sowohl innerhalb als auch gegen Gefährdungen von außen gewährleistet und organisiert werden. Ein Wachdienst kann Schutz vor Übergriffen, Bedrohungen und Gewalttaten von innen als auch von außen bieten.
Großen Einfluss auf die Sicherheit hat die Anzahl der untergebrachten Personen. In der Regel gehen steigende Bewohnerzahlen mit einem Anstieg problematischer Konstellationen und sicherheitsrelevanter Vorkommnisse einher. Kleinere Gemeinschaftsunterkünfte mit einer Belegung zwischen 50 und 100 Personen, die den Charakter von normalen Wohnhäusern haben, stellen sowohl für ihre Bewohner, als auch für die Nachbarschaft weniger Belastung dar.

Die Sicherheits- und Umgangsregeln, die in der Unterkunft gelten, müssen eindeutig und mehrsprachig kommuniziert werden.

Faktor 3: Soziale Betreuung

Zu einer angemessenen Unterbringung von Asylsuchenden gehören soziale Betreuungsangebote durch qualifizierte Sozialarbeiter. Asylsuchende kommen aus vielen Ländern und haben unterschiedliche Kulturen, Traditionen und Wertvorstellungen, z. B. hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung von Frauen und des gelingenden Aufwachsens
von Kindern.

Unabhängige Sozialarbeiter sollten deshalb als Ansprechpartner für alltägliche Fragen zur Verfügung stehen. Sie unterstützen Kinder und ihre Eltern bei der schulischen Integration, organisieren das Leben im Heim mit und helfen bei Behördenangelegenheiten. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit, weil sie Konflikte und Auseinandersetzungen bereits frühzeitig erkennen und ihnen präventiv entgegenwirken können. Zusätzlich sind sie wichtige Vermittler zum Heimbetreiber sowie zur Nachbarschaft und können auf ein konstruktives Miteinander hinwirken. Als Vertrauensperson können Sozialarbeiter die Bewohner auch bei gesundheitlichen Problemen beraten und an die zuständigen Beratungsstellen und Ärzte weitervermitteln.

Faktor 4: Frauen- und Familiengerechtigkeit

Dem Schutzbedürfnis von Familien und Frauen in Gemeinschaftsunterkünften muss besonders Rechnung getragen werden. Besonders in kasernenartigen Unterkünften ist es
schwierig, diesen Schutz zu gewährleisten. Erfahrungsgemäß sind Frauen und Familien Konflikten und Übergriffen hier besonders ausgesetzt. Deshalb sind abschließbare Wohneinheiten mit Küche und Sanitärbereich für jede Familie oder mehrere zusammenlebende Frauen für die Sicherheit besonders wichtig.

Wenn Sanitäranlagen in der Unterkunft gemeinschaftlich genutzt werden, weil es keine Wohneinheiten gibt, müssen diese nach Geschlechtern getrennt, sicher abschließbar
und vor Einsicht geschützt sein.

Faktor 5: Integration von Kindern

Der Schutz des Kindeswohls gilt für alle in Deutschland lebenden Kinder und muss auch in Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende gewährleistet werden. Auch hier bieten Einrichtungen mit Wohneinheiten bessere räumliche Gegebenheiten.

Alle Kinder unterliegen der Schulpflicht. Das gilt auch für Kinder von Asylsuchenden, sobald ihre Familien von der Erstaufnahmeeinrichtung einem Landkreis oder einer Kommune zugewiesen worden sind. In Gemeinschaftsunterkünften muss deshalb sichergestellt werden, dass alle schulpflichtigen Kinder tatsächlich in die Schule gehen. Außerdem sollte ihnen – wenn notwendig – Hausaufgabenhilfe auch in der Unterkunft angeboten werden, da ihre Eltern durch fehlende Sprachkenntnisse häufig dazu nicht in der Lage sind.

Da der Besuch einer Kindertagesstätte den frühzeitigen Erwerb der deutschen Sprache sichert und dieser für den Schulerfolg maßgeblich ist, ist es auch empfehlenswert, Kindern den Zugang zu einer Kindertagesstätte in angemessener Entfernung zu ermöglichen.

Faktor 6: Bildungsangebote

Deutsche Sprachkenntnisse sind essentiell für einen konstruktiven und sicheren Alltag in den Gemeinschaftsunterkünften und für die Orientierung in Deutschland. Sie sind sowohl für den Umgang der Bewohner untereinander als auch für die Kommunikation mit Anwohnern und Behörden wichtig. Auch für Eltern sind deutsche Sprachkenntnisse wichtig, damit sie ihre Kinder bei den schulischen Belangen unterstützen und begleiten können. Deshalb sollten Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften Sprachlernangebote zum Beispiel durch Vereine oder bürgerschaftlich engagierte Personen bekommen. Außerdem sollten Jugendliche und junge Erwachsene bei der Fortführung ihrer mitgebrachten Bildung durch spezielle Angebote unterstützt werden.

Faktor 7: Mitwirkungsmöglichkeiten

Die Bundesrepublik ist eine Gesellschaft mit den Werten einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Diese Werte sollten im Interesse eines konstruktiven Miteinanders in Gemeinschaftsunterkünften vermittelt und eingeübt werden. Heimbeiräte ermöglichen eine Mitwirkung und Mitverantwortung der Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebs. Ebenso sollten die Bewohner transparent in Heimabläufe und Aufgaben einbezogen werden. Diese Mitwirkung kann beispielsweise in der Hausordnung festgelegt werden. Außerdem sollten bezahlte Arbeitsgelegenheiten nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz angeboten werden. Wird die Versorgung der Bewohner durch Bargeld und nicht durch Gutscheine oder Lebensmittelpakete geregelt, ist auch das eine Möglichkeit, Mitwirkung über Eigenverantwortung zu praktizieren.

Faktor 8: Lage und Infrastruktur

Die Umgebung und die Lage der Unterkunft sind ausschlaggebend für die soziale Inklusion von Asylsuchenden. Dazu gehört zum Beispiel die Erreichbarkeit von Behörden, Beratungsstellen, Vereinen und von Einkaufsmöglichkeiten mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Die Anbindung an den ÖPNV ist auch ausschlaggebend für die

Möglichkeiten der Bewohner, sich ehrenamtlich zu betätigen, Bildungsangebote wahrzunehmen und am soziokulturellen Leben teilzunehmen. Mit steigender Entfernung wächst die Gefahr der sozialen Isolation. Die Bewohner sollten deshalb in ihrer eigenständigen Mobilität unterstützt werden.

Faktor 9: Zustand und Umfeld

Repressive Hierarchien in Gemeinschaftsunterkünften sind ein Sicherheitsrisiko. Ihr Entstehen wird durch die räumlichen Gegebenheiten in Unterkünften mit Kasernencharakter gefördert, besonders dann, wenn die Bewohner sich selbst überlassen bleiben. Deshalb sollten Gemeinschaftsunterkünfte eine Wohnhausstruktur haben. Maßgeblich für eine angemessene und menschenwürdige Unterbringung sind auch der Zustand des Gebäudes, eine sichere und funktionale Ausstattung der Räumlichkeiten und die Einhaltung und Kontrolle hygienischer Grundstandards. Gemeinschaftsunterkünfte müssen frei von Schimmel- und Schädlingsbefall sein.

Faktor 10 - Gesellschaftliche Einbindung

Asylbewerber und Geduldete sind von den meisten staatlich geförderten Integrationsmaßnahmen ausgeschlossen. Dennoch sind sie als Nachbarn, Miteltern, Ratsuchende in Behörden und Beratungsstellen Teil des Miteinanders in der lokalen Gemeinschaft. Zu einer menschenwürdigen Unterbringung gehört deshalb auch, dieses Miteinander konstruktiv und unter Einbindung der Asylsuchenden zu gestalten. Dabei geht es nicht nur um beratende Angebote, sondern auch um kulturelle oder um Bildungsangebote wie z. B. Sprachkurse oder Bildungspatenschaften. Außerdem sollten die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften darüber informiert werden, wo es Möglichkeiten für ihr freiwilliges Engagement gibt